Der Ortler: mehr remote von der Zivilisation geht in den Zentralalpen kaum. Kommt mit auf endlose Naturtrails zu Adlern und Murmeltieren.

Tagessteckbrief Stage 4 Prad – Bormio

Wir wachen früh im Stilfserjoch Nationalpark auf, das heisst ich wache früh auf, denn die Motoradfahrerin hat gestern Abend beim Essen gesagt um 7:00 ist Sonnenaufgang. Falk dreht sich nochmal um, doch die Aussicht ist zu verlockend und ich nerve solange bis wir bekleidet mit allem was wir haben bei 2 Grad draussen stehen. Ganz allein sind wir nicht und ziemlich alle wollen sensationelle Fotos vom aufsteigendem Feuerball über dem Ortlermassiv, dem Gletscher, der Stilfserjochstrasse und der Tibethütte schießen. Wir geben auf, als unsere Finger vor Kälte nicht mehr den Auslöser drücken können und machen uns auf zum Frühstück in der runden Bar der Hütte. Geniales Rührei gibt es zu dem man einfach nur Eier nehmen muss meint unser Wirt, dann wird es auch lecker.

Tibethütte

Beim Essen beobachten wir viele, viele Shuttles, die den Berg hochkommen, aber weniger mit Bikern, sondern mit Skifahrern und die Schlange an der Gondel wird immer länger. Auf gehts in den Tag mit erst mal schieben von 50hm auf die Dreisprachenspitze mit dem Rifiugio Garibaldi. Hier oben gibt es übergroße Zinnsoldaten, die an den Stellungskrieg erinnern und wir starten in den Militärweg zum Umbrailpass mit viel Flow.

Dreisprachenspitze mit Blick zum Goldseetrail

Über nicht zu schwere Spitzkehren gelangen wir an den breiten Umbrail Pass und stechen dahinter am Hang in den Uphill Trail zur Bocchetta di Forcola ein. Der Trail lässt sich sehr gut treten und als ich um eine Ecke komme, schwebt lautlos ein riesiger Steinadler mit hellem Kopf und braunen Schwingen nur gut 15m vor mir heran. Ich schätze seine Spannweite auf ca. 3m und er steht ganz entspannt in der Luft ohne die Flügel zu bewegen. Bevor ich ein Foto schiessen kann dreht er locker rechts weg und lässt sich einfach vom Wind den Hang hochtragen. Wow, absolut beeindruckend! Offensichtlich habe ich echt Glück gehabt, aber hier ist auch heute weit und breit niemand ausser uns unterwegs.

Am Umbrailpass und im NoMansLand der Bocchetta di Forcola

Kurz hochschieben zur Bocchetta di Forcola und dahinter beginnen endlose Trails im NoMansLand, die uns zur nächsten Aussicht an der Bocchetta di Penedoletto auf 2780m bringen. Die Trails sind gut zu fahren, auch wenn die ein oder andere Stelle abgebrochen ist und es folgt die lange Abfahrt über die Murmeltierkolonien runter zum Lago di Cancano. Es wimmelt nur so von ihnen, die sind putzig und ganz zutraulich und jetzt weiss ich was der Steinadler hier gesucht hat.

Master Murmeltier

Dann bricht das Gelände steil ab und ein Kehrentrail zum See beginnt. Er ist etwas geröllig, aber die Kehren sind voll i.O. wenn man sich auf den Weg fokussiert. Vor den Stauseen geht es nochmals rauf und wir kommen gut gelaunt am Rifugio Solena raus, hier empfehle ich um einen Teil des Sees (siehe auch) zu rollen, die fantastische Natur zu genießen und am See im Rifugio Val Fraele einzukehren.

Abfahrt zum Lago di Cancano

Wir wollen es wissen und gehen auf der anderen Seeseite den Fahrweg zum Croce delle Scale an. Die Idee ist vom Kreuz oben in den Trail nach Bormio einzustechen. Der Aufstieg ist zunächst gut fahrbar aber nach ca. 300hm geht es in einen schmalen Steig über, der seitlich sehr steil abfällt. Es folgen steile mit Seilen versicherte Stellen, von oben leichter Steinschlag. Das Jonglieren mit den Bikes wird immer anspruchsvoller und wir beschließen gemeinsam umzukehren, denn diese Variante ist Bikebergsteigen pur und nicht mehrheitsfähig.

Steig zum Croce delle Scale

Also alles wieder runter und auf Null bis zum Lago di Cancano zurück. Wir sammeln neue Motivation, ob dieser Niederlage und die Stimmung ist ganz leicht rauh, aber das kennen wir schon von früheren Unternehmungen. Deshalb gibt es keine Frage vor dem kleinen Lago Scale wieder in den Trail einzusteigen. Dieser verläuft tendenziell ansteigend in Stufen am Hang durch den Wald. Bis dahin gut fahrbar treffen wir 2 Wanderer, ziemliche Schränke mit östlichem Akzent, die uns von Kriechpassagen berichten, die kaum und schon gar nicht mit dem Bike machbar sind. Haben wir die Berichte zu dem Trail so gar nicht verstanden? Lieber machen wir uns selbst ein Bild und richtig ist, auf der 2ten Hälfte wird er ruppiger, steiler und aufgrund glasartiger Steine auch deutlich rutschiger. Zudem kommen Sektionen mit steilen Stufen, hier ist etwas schieben angesagt. Mit etwas Geduld und Spucke ist das aber alles kein Ding und sogar mit dem EBike für manche befahrbar, wie das Bild von Johann unten beweist (besten Dank für Deinen Beitrag!). Schliesslich gabelt sich der Trail und wir fahren in schönen Serpentinen runter an die Strasse und weiter Richtung Bormio. 

Johann (c) mit dem EBike auf dem Monte delle Scale Trail

Das Bier in Bormio in Sichtweite

In Bormio lassen wir uns durch den Ort treiben und stellen fest, dass wir einen riesigen Durst haben. Wir fahren vor bis zur Station der Seilbahn Bormio 2000 und direkt gegenüber befindet sich das Hotel Alu, welches uns mit Special Price zum Bleiben einlädt und vor allen Dingen auf der Terrasse kühles Blondes serviert. Ein sehr abwechslungsreicher Tag von hochalpinen 2800m auf 1200m im eher städtischen Bormio geht gut gekühlt zu Ende.

Tom Bauer 2021